Abschlussbericht der Projektstudie zur Touristifizierung in Barcelona

Abschlussbericht der Projektstudie zur Touristifizierung in Barcelona

Im Rahmen der Projektstudie zur Touristifizierung in Barcelona wurden Fragestellungen und Herausforderungen der fortschreitenden Touristifizierung urbaner Räume untersucht. Seit einigen Jahren verzeichnet Barcelona einen starken Anstieg des Tourismusaufkommens. Neben wirtschaftlichen Auswirkungen führte das Wachstum im Tourismusbereich zu grundlegenden Transformationen der Stadt und ihrer Quartiere. Bewohner*innen und politische wie auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen nehmen den Tourismus zunehmend als Belastung wahr und versuchen sich dagegen zu wehren, dass der Tourismus ihren städtischen Lebensraum vereinnahmt und ihnen einen Teil ihrer Lebensqualität nimmt.

Das Ziel der Projektstudie bestand darin, mit 20 Master-Studierenden der „Geographie des Globalen Wandels“ den Prozess der Touristifizierung aus den Blickwinkeln verschiedener Akteur*innen und an verschiedenen Standorten in Barcelona zu untersuchen, um ein differenziertes Bild von den Ursachen, Ausprägungen und Auswirkungen der Touristifizierung zu gewinnen. Weiterhin sollten geeignete Ansätze aufgezeigt werden, wie Einheimische und Reisende künftig besser mit den Belastungen, Herausforderungen wie auch Potentialen der Touristifizierung umgehen können.

Zur Vorbereitung wurden zunächst einige theoretisch-konzeptionelle Zusammenhänge der Stadt- und Tourismusforschung erarbeitet. Dies umfasste auch die Recherche, Dokumentation und Auswertung von Dokumenten sowie empirischen Daten zur Stadt- und Tourismusentwicklung in Barcelona. Den Kern der Projektstudie bildete ein zweiwöchiger Studien- und Forschungsaufenthalt in Barcelona (8.-20.9.2019), währenddessen mit Hilfe vielfältiger sozialwissenschaftlicher Methoden und Instrumente eigene Erhebungen und Analysen in ausgewählten Stadtquartieren durchgeführt und in crossmedia-Formaten (Video, Foto, Text) dokumentiert wurden. Die Nachbereitung (26.9.-15.11.2019) diente dem Abschluss der Auswertungen in Kleingruppen und dem Erarbeiten einer Online-Dokumentation der Forschungsarbeiten. Eine Abschlusspräsentation findet am 20.11.2019 statt.

Im Ganzen wurde die Projektstudie entsprechend der im Förderantrag dargestellten Planung durchgeführt. Im abschließenden Evaluierungsgespräch mit den Studierenden kam zum Ausdruck, dass es sich um eine sehr gut gelungene und erfolgreiche Lehrveranstaltung handelt. Die Studierenden haben sehr großes Engagement gezeigt und ihre Kenntnisse und Fähigkeiten sehr gut eingebracht. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Arbeiten in den fünf für die Projektstudie ausgewählten Stadtquartieren von Barcelona zusammengefasst und anhand eigener Fotos dokumentiert:

Im Stadtquartier El Raval finden die Studierenden einen Ort, an dem sich Probleme einer Arbeiterklasse und Expansionsbestrebungen einer globalisierten Tourismusindustrie vermischen. Ende der 80er Jahre dominierten Drogen das Quartier, weshalb die Regierung beschloss, El Raval in ein kulturell attraktives Stadtquartier umzuwandeln. Auch mit Blick auf die Olympischen Spiele 1992 sollte das Stadtbild verändert werden. El Raval ist aufgrund seiner alternativen Szene, die u.a. einen ausgeprägten Skate-Tourismus anspricht, bekannt. Dieses alternative Barcelona ist für Reisende attraktiv und der Prozess einer touristischen Aufwertung und Transformation ist deutlich spürbar. Für die lokale Quartiersbevölkerung ergeben sich dadurch einerseits neue Chancen und Einkommensmöglichkeiten, andererseits finden Proteste u.a. gegen steigende Immobilienpreise und Verdrängungsprozesse statt. Die Gesichter des Tourismus innerhalb des Quartiers sind vielfältig: Positive Entwicklungen hinsichtlich eines wirtschaftlichen Aufschwungs sowie der Sicherheit stehen den genannten negativen Effekten gegenüber.

Poble Sec ist für sein gastronomisches Angebot bekannt. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurde am Rande der Stadt, wo das Quartier heute liegt, Gemüse angebaut. Heute befindet sich dort ein dynamisches Viertel, das Tourist*innen, Einheimische sowie Migrant*innen gleichermaßen anlockt. Von besonderer Bedeutung für den Tourismus in Poble Sec ist der sog. New Urban Tourism: Eine Form des Tourismus, der abseits von touristischen Hotspots stattfindet und bei dem der Fokus des touristischen Erlebens auf alltäglichen Erfahrungen der lokalen Bevölkerung und dem Wunsch nach Authentizität liegt. Auch in Poble Sec erkennen die Studierenden die Vielfalt von Tourismus und Touristifizierung sowie deren problematische Auswirkungen: Verdrängung von Einheimischen aufgrund steigender Mietpreise, Vereinheitlichung des Einzelhandels zulasten von Läden des täglichen Bedarfs oder nächtliche Lärmbelastung. Als sogenanntes etabliertes Szeneviertel befindet sich Poble Sec aber noch in einem anfänglichen Stadium dieses Prozesses.

La Barceloneta gehört zu Barcelonas ältesten Stadtvierteln. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich das Quartier seit der städtebaulichen Aufwertung im Zuge der Olympischen Spiele 1992 zu einem touristischen Anziehungspunkt. Die täglich ankommenden Reisenden verändern das Quartier jedoch nachhaltig: Folgen sind u.a. ein auf Reisende ausgelegter Einzelhandel und Dienstleistungssektor sowie überlastete Infrastrukturen. Das hohe Gästeaufkommen wird im Viertel entsprechend kontrovers wahrgenommen: Während Gastronomiebetreiber*innen, Straßenverkäufer*innen oder Rikschafahrer*innen steigende Umsätze verzeichnen und den Tourismus als Chance sehen, fühlen sich Anwohner*innen in ihrem Alltag gestört, klagen über Lärm- und Müllbelästigung sowie über steigende Mieten. Es wird deutlich, dass Tourismus einerseits ein wichtiger Impulsgeber und Wirtschaftsmotor ist, andererseits negative Auswirkungen auf das Leben der Einwohner*innen hat. In La Barceloneta werden die Studierenden mit dem Phänomen des Overtourism konfrontiert: Ein Phänomen, das das Überschreiten der physischen Tragfähigkeit einer Stadt oder eines Stadtteils hinsichtlich des Tourismusaufkommens beschreibt. Die Akzeptanz innerhalb der Quartiersbewohner*innen gegenüber Tourismus scheint zu sinken, aber nicht gänzlich gestört zu sein, von der Regierung fordern sie „don’t add more people, change the kind of people”, von Tourist*innen fordern sie Respekt gegenüber ihren Privat- und Rückzugsräumen.

Das zur Altstadt gehörende Untersuchungsgebiet El Born gilt u.a. aufgrund vieler Einkaufsmöglichkeiten, des gastronomischen Angebots sowie der Architektur als touristisch attraktiv. Aus Gesprächen mit Anwohner*innen geht jedoch hervor, dass in El Born die Zahl an Besucher*innen das erträgliche Maß überschritten hat und es zu viele touristisch vermietete Ferienunterkünfte mit der Folge steigender Immobilien- und Mietpreise gibt. Die lokale Bevölkerung sieht also weniger die Vorteile und Chancen von Tourismus, sondern die sie bedrängenden negativen Effekte. Sie sehen ihr Viertel nicht mehr als für sie lebenswert an, vergleichen es stattdessen mit einem touristischen Vergnügungspark, in dem die Bedürfnisse der Tourist*innen im Vordergrund stehen. Somit wird auch hier das Phänomen des Overtourism als Nebeneffekt eines fortgeschrittenen Touristifizierungsprozesses spürbar.

Das Quartier Vila de Gràcia liegt im Norden Barcelonas. Bekannt für seine starke Identität, erfährt es inzwischen eine große Popularität bei Reisenden. Vila de Gràcia lockt mit Bar- und Gastronomiebetrieben, mit Kunst und einem nachhaltigen Lebensstil. Während in Quartieren wie La Barceloneta oder El Born der Touristifizierungsprozess schon weit fortgeschritten ist, befindet sich Vila de Gràcia noch am Anfang dieser Transformation. Erst seit wenigen Jahren entwickelt sich das Quartier zu einem touristisch genutzten Raum bei gleichzeitiger Verdrängung bestehender Nutzungsformen. Die touristische Erschließung hängt mit der touristischen Sättigung der zentralen Stadtbereiche zusammen, woraufhin der Tourismus in periphere Bereiche expandiert. Bei genauer Betrachtung identifizieren die Studierenden auch hier den New Urban Tourism als prominente Form des Reisens: Auf der Suche nach Alltagserfahrungen, der Besonderheit des Lokalen, nach authentischen und individuellen Erlebnissen bewegen sich Tourist*innen vermehrt an urbanen Randbezirken, anstatt sich in den klassischen touristischen Bereichen Barcelonas aufzuhalten.

Eine etwas ausführlichere Dokumentation der Projektstudie ist online verfügbar.